Herbert Freudenberger arbeitete 12 Burnout-Phasen heraus, die auf dem Weg in die Erschöpfung charakteristisch sind. Heute ist bekannt, dass die Stufen nicht unbedingt alle nacheinander stattfinden müssen. Die Reihenfolge kann verändert sein und einzelne Stufen können übersprungen werden. Ob und wie schnell sich ein Burnout-Syndrom ausprägt hängt von der Kombination verschiedener Schutz- und Risikofaktoren ab. Die zwölf Phasen führen über vier Stationen. Diesen Verlauf möchte ich am Beispiel von Paulas Weg in einen Burnout deutlich machen.
Wer ist Paula?
Ich möchte, dass du einen Eindruck bekommst, wie sich ein Burnout-Syndrom entwickeln kann. Hierzu möchte ich dir Paula vorstellen. Paula ist Lehrerein. Sie ist dreißig Jahre alt, verheiratet und an einer Gesamtschule in einem sozialen Brennpunkt als Mathe- und Deutschlehrerin tätig. Sie hat sich für diesen Beruf entschieden, weil sie jungen Menschen eine gute Schulbildung ermöglichen möchte.
Paula hat sich zum Ziel gemacht, besonders Kinder aus bildungsfernen Familien zu unterstützen. Paula steckt viel Zeit und Mühe in die Vor- und Nachbereitung ihrer Unterrichtseinheiten um ihr Ziel zu erreichen. Als Paula an dieser Schule beginnt zu arbeiten wird ihr Engagement von den älteren Kollegen belächelt. Nach einiger Zeit der Berufstätigkeit an dieser Schule beginnt ihr Weg in den Burnout. Ihr Weg führt sie über vier typischen Stationen mit insgesamt 12 möglichen Phasen.
Die erste Station: Das Stadium der idealistischen Begeisterung
Phase 1: Der Zwang, sich zu beweisen.
Paula hält entgegen den Aussagen ihrer Kollegen an ihrem großen Ziel fest, jedem Kind eine gerechte Bildungschance zu ermöglichen. Sie möchte es ihren Kollegen zeigen und etwas in der Welt verändern. Sie leistet viele zusätzliche Arbeitsstunden. Sie setzt sich dadurch selbst unter Druck. Sie möchte ihre Arbeit viel besser machen, als alle anderen Lehrer in der Schule. Bei dem Gedanken daran, zum Ausgleich mal einen Feierabend vorzuziehen und sich auszuruhen fühlt sie sich unwohl. Deswegen kommt das für sie nicht in Frage.
Bildquelle: Zdenek Sasek
Phase 2: Verstärkter Einsatz
Paula entwirft Förder-AGs um die Kinder noch besser zu unterstützen. Um ihre regulären Aufgaben noch erfüllen zu können, nimmt sie sich häufig Arbeit mit nach Hause. Die Zeit in den Abendstunden braucht sie, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Sie möchte Korrekturen von Klassenarbeiten nicht lange aufschieben. Sie möchte den Kindern zeitnah ein Feedback geben und verzichtet dafür lieber auf ihre Freizeit. Andere Kollegen möchte sie nicht um Hilfe bitten. Schließlich ist das ihr persönliches großes Ziel.
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Phase 3: Vernachlässigung eigener Bedürfnisse
So sieht Paulas Alltag über mehrere Monate aus. Doch irgendwann ändert sich etwas. Seit einiger Zeit hat Paula das Gefühl, ihr Privatleben kommt zu kurz. Sie hat dafür neben der Arbeit in der Schule weder Zeit noch Kraft. Am Wochenende hängt sie vollends durch und hat den Eindruck, als müsste sie das Schlafdefizit der Woche nachholen. Ihr Pensum möchte sie aber nicht reduzieren. Sie möchte nicht als fauler Lehrer wahrgenommen werden. Die Kolleg*innen, die dem nachgeben, betrachtet sie mit negativen Gefühlen.
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Die zweite Station: Das Stadium von Stillstand und Stagnation
Phase 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen
Im Laufe der Zeit gerät Paula immer öfter mit ihren Arbeitskolleg*innen aneinander. Die unterschiedlichen Einstellungen bieten großes Konfliktpotenzial. Paula hat kein Verständnis für die Herangehensweise ihrer Kolleg*innen. Sie scheut sich Aufgaben abzugeben, selbst wenn es Angebote gibt. Einige ihrer Kollegen beobachten ihr Engagement bewundernd und möchten helfen, andere machen sich Sorgen um Paulas Gesundheit. Einige Kollegen fühlen sich durch Paulas Auftreten bedroht und angegriffen, da ihr Engagement scheinbar ein schlechtes Licht auf die Kollegen wirft. Ihrem Partner zu Hause erzählt sie immer häufiger von den Problemen auf der Arbeit. Nachts liegt sie häufig wach und ist in Gedanken mit den Herausforderungen des letzten und des nächsten Tages beschäftigt. Sie hat häufig Sorgen, dass sie die Termine, die sich am Folgetag dicht drängen nicht pünktlich wahrnehmen kann. Immer wieder muss sie Leuten kurzfristig absagen oder vergisst Termine ganz. Immer öfter plagt Paula auch Kopfschmerz.
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Phase 5: Umdeutung von Werten
Die Auswirkungen auf Paulas Privatleben bleiben nicht ohne Folgen. Paulas Partner reagiert zunehmend verunsichert und ungeduldig auf Paulas ständige Kopfschmerzen und zunehmende Gereiztheit. Sie streiten sich viel häufiger als früher. Auch im Lehrerzimmer eckt Paula häufig an. Sie fühlt sich allein auf verlorenem Posten kämpfend für ihre Ziele eintretend. Für ihr Ziel nimmt sie die negativen Seiten in Kauf. Leider kommt sie mit ihrer Arbeit nicht so zügig voran, wie sie es gehofft hatte. Ihr passieren Fehler, die sie dann wieder korrigieren muss. An dieser Stelle geht ihr sehr viel Zeit verloren.
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Phase 6: Verleugnung der Probleme
Paula versteht nicht, warum ihr Partner kein Verständnis für die belastende Situation auf ihrer Arbeit hat. Paula schottet sich zunehmend ab und beginnt eine Distanz zu ihrem Partner aufzubauen. Paula will sich und allen anderen beweisen, dass sie den Stress aushalten kann und es der richtige Weg ist. Sie arbeitet sehr hart für ihr Ziel und gönnt sich immer seltener Zeit, um ihren Hobbies nachzugehen. Ihr fehlt die Kraft und die Geduld dafür.
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Die dritte Station: Das Stadium der Frustration
Phase 7: Rückzug
Aufgrund des Kraftmangels macht sich Paula in vielen Situationen rar. Inzwischen machen sich Paulas Freunde und ihre Familie sich große Sorgen. Sie sehen wie sehr Paula kämpft und dass sie zunehmend müder und kraftlos wirkt. Sie sprechen sie darauf an. Paula findet es sehr störend, dass sich plötzlich alle Welt in ihre Angelegenheiten einmischt. Sie kann dem Zusammensein mit ihren Freunden immer weniger positive Seiten abgewinnen und sagt daher Treffen immer öfter ab.
Auch auf der Arbeit bleiben gewünschte Erfolge aus. Paula schraubt in der Folge ihre Aktivitäten auf der Arbeit immer weiter zurück und freundet sich mit dem Gedanken an, nur noch das zu tun, was ausdrücklich erwartet wird. Paula gönnt sich zum Ausgleich für den ganzen Stress und zur Belohnung für ihren unermüdlichen Einsatz gerne ein bisschen mehr Wein am Abend. Früher hätte sie das kritisch gesehen – zurzeit findet sie das aber gerechtfertigt.
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Phase 8: Verhaltensänderung
Das Verhalten ihrer Umgebung bleibt auch Paula nicht verborgen. Sie nimmt ihre Ablehnung gegenüber ihren Freunden und ihrer Familie wahr. Sie zwingt sich dazu, die Kontakte zu pflegen, obwohl sie eigentlich gar keine Lust dazu hat. Am liebsten würde sie ihren Feierabend und das Wochenende auf der Couch mit einem Glas Wein und ihrer Lieblingsserie verbringen. Manchmal kann sie sich nicht trennen und schaut bis tief in die Nacht, obwohl sie morgens früh raus muss. Den entstehenden Schlafmangel kompensiert sie mit Kaffee. Leider kann sie sich auf diese Weisen nicht erholen und ihre Kraftreserven wieder füllen. Der Enthusiasmus, der sie am Anfang begleitete ist längst Geschichte. Die zunehmende Erschöpfung fordert langsam ihren Tribut.
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Phase 9: Depersonalisation
Paula erkennt sich selbst nicht mehr wieder. Von der engagierten Lehrerin, die sie vor einiger Zeit noch war, kann sie nichts mehr sehen. Sie hat das Gefühl einfach zu funktionieren. Sie tut, was sie tun muss. Wie ein Roboter arbeitet sie die an sie gestellten Anforderungen ab. Wenn der Feierabend vor der Tür steht ist sie froh, dass sie ihren Beruf hinter sich lassen kann. Sie fühlt sich müde und kämpft dagegen mit dem Konsum von viel Kaffee an.
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Die vierte Station: Das Stadium der Apathie
Phase 10: Innere Leere
Paula fühlt sich überflüssig und innerlich leer. Das Leben im Roboter-Modus führt ihr die Sinnlosigkeit ihres Daseins vor Augen. Ihre Quellen, die sie früher anzapfte um Kraft für ihren Alltag zu nehmen versiegen langsam. Sie lebt zurückgezogen und vermeidet zusätzliche Termine. Das führt dazu, dass sie keine positiven Erlebnisse mehr hat. Sie verschließt sich in ihrem geschützten Raum. Sie ist ängstlich, wenn sie an neue Aufgaben auf der Arbeit denkt. Sie traut sich nicht zu, neue Aufgaben zu bewältigen. Ihr fehlt die Kraft neue Dinge, die sie nicht routiniert beherrscht anzugehen.
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Phase 11: Depression
Das Ausbleiben schöner Erlebnisse macht Paula müde. Sie ist unzufrieden mit sich. Wie konnten sie es soweit kommen lassen? Es kommt ihr vor, als hätte sie alles ruiniert. Sie hatte ein so schönes Leben mit einem tollen Job, einem guten Freundeskreis und einem liebevollen Partner. Es tut ihr weh, zu sehen, was davon nur noch übrig ist. Am liebsten würde sie sich hinlegen und einfach nie wieder aufstehen. Eine tiefe Verzweiflung füllt ihre Seele aus. Sie fragt sich, wie das weitergehen soll. Das wird sie doch niemals wieder repariert kriegen.
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Phase 12: Völlige Erschöpfung
Das negative Gedanken-Karussell nimmt immer mehr an Fahrt auf. In Paulas Kopf kreist nur noch ein Gedanke: Ich kann nicht mehr! An ein Aufraffen ist nicht mehr zu denken. Der Antrieb ist ihr völlig abhandengekommen.
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Eine Entwicklung in Burnout-Phasen
Wie du siehst, ist die Entwicklung eines Burnout-Syndroms ein Prozess, der sich über eine sehr lange Zeit hinziehen kann. Er verläuft individuell unterschiedlich. Die Ausprägung der einzelnen Stationen und die Geschwindigkeit der Entwicklung hängen dabei von vielen verschiedenen Faktoren ab. Diese Individualität macht auch eine persönliche Betrachtung der Stressbewältigungsmöglichkeiten nötig. Ist es erst einmal zu einem Burnout gekommen hilft oft nur noch psychotherapeutische oder medizinische Behandlung.